An diesem Tag wird das Kabinett Merkel die Gesetzesentwürfe für den Ausstieg aus der Kernkraft absegnen - elf Tage später folgt die Abstimmung im Bundesrat. Ein Schelm, wer von diesem Treffen mehr erwartet hätte. So bemängelt etwa der Bundesverband Erneuerbarer Energien, dass nicht über konkrete Massnahmen gesprochen wurde. Auch der Präsident des Deutschen Naturschutzbundes, Olaf Tschimpke spricht von einer "bestenfalls halbherzigen" Regierungspolitik. Die Hausherrin machte bei ihrem Gipfel mit den 16 Ministerpräsidenten trotzdem gewaltigen Druck - es sei Eile geboten! So enthält der vorgelegte Sechs-Punkte-Plan des öfteren das Wort "zügig". Hier muss sie wohl auf die Ziele der SPD zugehen, braucht sie doch auch deren Unterstützung bei den Abstimmungen im Bundesrat. Allerdings wissen nach wie vor die wenigsten, wie denn wirklich dieser Atomausstieg vollzogen werden soll. Schliesslich muss das "Weniger an Strom" auf irgendeine Art kompensiert werden. Nur durch das Hochfahren der kalorischen Kraftwerke ist es nicht getan - es müssen endlich die erneuerbaren Energieträger in Angriff genommen werden. Nur mit deren Hilfe kann dieser Ausstieg bewältigt werden - doch wurden die Bestrebungen in dieser Hinsicht in den letzten Jahren zugunsten des Atomstroms vernachlässigt. Nun muss alles binnen kürzester Zeit nachgeholt werden! Das letzte AKW soll nämlich 2022 (SPD) bzw. 2035 (CDU/CSU/FDP) vom Netz gehen. Merkel beauftragte die Minister Rainer Brüderle (Wirtschaft), Peter Ramsauer (Verkehr) und Norbert Röttgen (Umwelt) gemeinsam mit den entsprechenden Ministern der Länder Massnahmen zu erarbeiten, die eine Verfahrensbeschleunigung bei der Planung und Genehmigung von Projekten beim Ausbau erneuerbarer Energien bewirken sollen. Auch neue Stromtrassen müssen errichtet werden - so etwa beim Ausbau der Windkraft in den nördlichen Bundesländern. Aus dem Wirtschaftsministerium heisst es, dass bis zu 3.600 Kilometer neuer Stromleitungen verlegt werden müssen - die Energieagentur beziffert dies mit einem Aufwand von rund 10 Milliarden Euro bis 2020. Für die Forschung im Bereich neuer Speichertechnologien veranschlagt die Bundesregierung vorerst 200 Millionen. Daneben soll das Gebäudesanierungsprogramm schrittweise auf 2 Milliarden Euro erhöht werden, betont Bauminister Ramsauer. Die Prüfberichte der Kommissionen zur Aussetzung der Verlängerung der AKW-Laufzeiten werden bis zum 03. Juni vorliegen. An diesem Tag erfolgt ein erneuter Energiegipfel. Dabei werden neue Gesetze zum Netzausbau, Planungsrecht sowie auch ein neues Atomgesetz vorgelegt, das den ultimativen Countdown zum Ende der Kernkraft einläuten soll. Sorge bereitet derzeit noch die Finanzierung, denn nicht alle Projekte können über die Banken abgewickelt werden. Hier fordert der Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Erwin Sellering (SPD) ein Finanzierungskonzept der Bundesregierung, wobei entsprechende Förderungen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW abgewickelt werden können. Über die Kosten des Ausstiegs sind sich die meisten ohnedies noch nicht einig. Merkel dementiert alle Zahlen (etwa die durch die Süddeutsche Zeitung proklamierten 3 Milliarden jährlich), denn es gebe noch viel zu viele Unbekannte in der Gleichung. Fix ist, dass mit den bislang durch die AKW-Betreiber entrichteten Gelder (Brennelemente-Steuer, Energie- und Klimafonds) künftig nicht mehr zu rechnen ist. Die Zahlungen an den Fonds wurden bereits eingestellt. Nun sprechen erste Stimmen von eine Verteuerung des Stroms um bis zu einem Fünftel des jetzigen Preises! Umweltminister Röttgen hingegen weist dies zurück - er erwartet sich nur einen geringfügigen Anstieg. Von einer Steuererhöhung zur Finanzierung des Atomausstiegs spricht freilich derzeit, angesichts der noch ausstehenden Landtagswahlen, niemand in der Koalition. Die Minister selbst sind bei der Umsetzung unterschiedlicher Meinung. Während Umweltminister Röttgen der Windenergie die grösstmögliche Priorität verleiht (Kredite von fünf Milliarden Euro für den Bau von Offshore-Windanlagen - Anlagen auf hoher See), will Wirtschaftsminister Brüderle mehr Gaskraftwerke bauen lassen. Einigkeit besteht derzeit nur insofern, dass nicht auf ausländischen Atomstrom zurückgegriffen werden soll. Die zuletzt 17 Atomkraftwerke lieferten im vergangenen Jahr rund 23 % des deutschen Stroms. Sieben AKWs wurden im Rahmen des "Moratoriums" vorübergehend abgeschaltet (der Meiler in Krümmel bereits zuvor einstweilen stillgelegt) - wie viele davon wieder ans Netz gehen werden, steht gegenwärtig noch nicht fest. Durchwegs positiv melden sich Handwerk und Industrie zu den derzeitigen Überlegungen zu Wort. So sollen bis 2020 nicht weniger als 500.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien eine Beschäftigung finden. Der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerkes erwartet sich volle Auftragsbücher. Und auch die Baubranche jubelt. Schliesslich gelten nach Angaben des Bau- und Verkehrsministeriums 30 der 40 Millionen deutschen Wohnungen als "energetisch sanierungsbedürftig"! Nette Anekdote zum Schluss: Zum Auftakt des Energiegipfels hatten Greenpeace-Aktivisten um 04.00 Uhr früh den Schriftzug "Deutschland ist erneuerbar!" an die Mauer des Kanzelramtes projiziert! Laser-Graffiti auf einen Bundesgebäude - für welches sicherlich ebenfalls zumindest teilweise Atomstrom zum Einsatz kam!!! Ulrich Stock
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TAM-Wochenblatt Ausgabe 14 KW 16 | 21.04.2011 |
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